Weltfriedensmacht statt Platz an der Sonne: Kriegswaffenlieferungen in Kriegs- und Spannungsgebiete sofort stoppen

Veröffentlicht am 28.01.2015 in Anträge

Beschlossen auf der KDK am 21.01.2015

Antrag: Weltfriedensmacht statt Platz an der Sonne: Kriegswaffenlieferungen in Kriegs- und Spannungsgebiete sofort stoppen

Empfängerin: SPD-Kreisverband, SPD-Landesverband, SPD-Bundesverband

 

Einleitende Gedanken und Analyse

Mit dem Beschluss der Großen Koalition vom 31.08.2014 im Nordirak agierende kurdische Kämpfer*innen mit Waffen aus Bundeswehrbeständen zu beliefern, hat sich eine deutsche Bundesregierung erstmals öffentlich dazu entschieden einen nichtstaatlichen Konfliktakteur auf direktem Wege mit Waffen zu versorgen. Hiermit wurde die bisher mehr oder weniger offensichtliche Praxis, Waffen direkt oder über Partner*innenstaaten in Kriegs- und Spannungsgebiete1 zu liefern, obwohl jahrelang nach Außen der Grundsatz keine Waffen in Krisengebiete zu liefern gebetsmühlenartig wiederholt wurde, endgültig entlarvt. Das am 07. Juli 2003 im Gemeinsamen außenpolitischen Standpunkt der Europäischen Union (2003/495/GASP)2 vereinbarte und in deutsches Recht überführte Waffenembargo für den Irak wird damit ebenfalls umgangen.
Als Begründung für diese endgültige Zielabkehr muss dabei die gegenwärtige - politische, militärische und humanitäre - Situation im Maschrek, insbesondere im nördlichen Irak herhalten. Begleitet von einer bereits seit Monaten auf Hochtouren laufenden publizistischen Stimmungskampagne, die eine Ausweitung deutscher Militäreinsätze und die Übernahme von "mehr internationaler Verantwortung" predigt3, vollzieht sich dabei im Eiltempo ein weiterer, weitreichender Einschnitt in die Grundsätze außenpolitischer und militärischer Zurückhaltung der Bundesrepublik zugunsten einer noch stärkeren, weltweitausgerichteten Einfluss- und Interessensicherungspolitik.

Responsibility to protect - Konzept ohne Handlungsrahmen
Im aktuellen Fall zeigt sich, dass hinter dem seit 2001 in der internationalen Politik etablierten Begriff der Schutzverantwortung (engl. Responsibility to protect oder R2P) bis heute kein handlungsfähiges Konzept steht. Angeblich sollten hierdurch in drei Teilen (Prävention, Intervention und Wiederaufbau) weitreichende Menschenrechtsverletzungen als Lehre aus dem Völkermord in Ruanda, in Zukunft verhindert werden. Im Konkreten erschöpfte sich die Aktion der internationalen Gemeinschaft jedoch jahrelang in Zuschauen auf diversen Konfliktschauplätzen und selektiven Interventionen einiger Großmächte unter dem Deckmantel einer "Schutzverantwortung" auf einigen anderen - wahlweise außerhalb oder gar ohne Mandat durch die Vereinten Nationen. Im Falle des Iraks sind die heutigen Entwicklungen Folgen des mit gefälschten Beweisen über Chemiewaffen und damit auch mit dem Schutz von Menschenrechten begründeten Dritten Golfkriegs (2003), der in Folge des Krieges komplett zerrütteten staatlichen Strukturen des Landes und der langjährigen bedingungs- wie kritiklosen Unterstützung der Politik des irakischen Premiers Nouri al-Maliki.

Das Konzept R2P muss damit als weder ausgereift, noch handlungsfähig beschrieben werden. Wertebasierte Politik der "internationalen Gemeinschaft" gibt es auch im Jahr 2014 nicht. Die "Schutzverantwortung" ist letztlich ein Feigenblatt für interventionistische Interessenpolitik geblieben.

Die Politischen Grundsätze sind bisher das Papier nicht wert, auf dem sie stehen
Die dritte Fassung der "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" vom 19.01.2000 stellt wie ihre Vorgängerversionen bloß eine Vorgabe dar und kein Gesetz. Gleichwohl ist sie mit einem hohem normativem Anspruch verbunden und von enormer politischer Strahlkraft - ins In-, aber vor allem auch ins Ausland. In ihrem Koalitionsvertrag hatte sich die Regierung Merkel III - wie ihre Vorgängerinnen - zu den Politischen Grundsätzen bekannt. Dort heißt es beispielsweise:

Genehmigungen für Exporte nach Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) und/oder Außenwirtschaftsgesetz (AWG) kommen nicht in Betracht, wenn die innere Lage des betreffenden Landes dem entgegensteht, z. B. bei bewaffneten internen Auseinandersetzungen und bei hinreichendem Verdacht des Missbrauchs zu innerer Repression oder zu fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen. Für diese Frage spielt die Menschenrechtssituation im Empfängerland eine wichtige Rolle.

Mit der direkten Lieferung von Waffen an einen Konfliktakteur werden die Versprechungen nun abermals konterkariert, nachdem sie in den Vorjahren bereits in etlichen Fällen gebrochen wurden. Eine Bundesregierung, die ihre eigenen Vorgaben nicht einhält, macht sich nicht nur unglaubwürdig. Sie ist auch mitschuldig an den Verheerungen, die Folge der von ihr gesandten Waffen sind.

Waffenlieferungen sind auch im Irak kein Ausweg aus dem Teufelskreis der Gewalt
Es ist wichtig sich zu vergegenwärtigen, dass in Bezug auf die gegen islamistische Milizen wie den IS (Islamic State) kämpfenden Kurd*innen nicht von einer einheitlichen Bewegung gesprochen werden kann. In der Südosttürkei, Nordsyrien, dem Nordirak und im westlichen Iran existieren mehrere, zum Teil sehr heterogene, kurdische Gruppierungen und Parteien mit sich deutlich voneinander unterscheidenden Agenden. Diejenigen Gruppen, die in den Medien pauschal als Peschmerga genannt werden, stellen bewaffnete Einheiten der im Nordirak wirkenden kurdischen Parteien PDK und YNK dar.4 Erstere werden beispielsweise seit Jahren von der Türkei und dem Iran unterstützt. Im Gefolge des schleichenden Kollaps der irakischen Nationalarmee gelangen sie zudem bereits seit geraumer Zeit in den Besitz hochmoderner westlicher Waffen. Bei den kurdischen Gruppen, die die im Sindschar-Gebirge eingekesselten Jesid*innen freikämpften, handelte es sich jedoch nicht um Peschmerga der PDK, sondern mehrheitlich um Kämpfer*innen der YPG sowie der PKK und einige Peschmerga der YNK.5

Davon einmal abgesehen ist jedoch der entscheidende Punkt darin zu sehen, ob Waffen und militärische Gewalt geeignet sind, islamistische Milizen und Terrororganisationen effektiv und langfristig zu zerschlagen und Frieden in die Region zu bringen. Nicht erst der "Kampf gegen den Terror" und die mit ihm verbundenen Militäreinsätze und Kriege haben gezeigt, dass dies nicht der Fall ist. Mit Waffenlieferungen an Gruppen wie die Peschmerga steht nun zu befürchten, dass selbst nach einem Sieg oder einer Vertreibung der IS-Kräfte keineswegs Frieden in der Region Einzug hält. Viel eher werden jene Gruppen ihre Neuerwerbungen und die verbesserte Ausgangsposition nutzen, um ihr Ziel eines eigenständigen Kurd*innenstaates weiterzuverfolgen. Noch bedrohlicher ist jedoch das Szenario, dass die Waffen in einem innerkurdischen Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen Parteien und Gruppierungen zum Einsatz kommen werden, der aufgrund der großer Interessensdivergenzen nicht unwahrscheinlich ist.

Keine Endverbleibskontrolle, keine Rückholmöglichkeit
Für die Waffen, die nun an die Peschmerga geschickt werden, besteht mitnichten eine Endverbleibskontrolle. Eine solche war jedoch in früheren Jahren gerade für Vertreter*innen unserer Partei eine zentrale Vorbedingung für Waffenlieferungen gewesen. Noch weniger besteht eine Rückholmöglichkeit und so könnten diese Waffen jahrzehntelang im Einsatz bleiben - von niemandem kontrolliert, könnten sie dann in zehn, zwanzig oder vielleicht sogar fünfzig Jahren bei Konflikten in der Region genutzt werden und Menschen töten.

Davon abgesehen, dass die Peschmerga bereits mit deutschen Waffen kämpfen6, sind ihre heutigen Gegner*innen vom IS und seiner Vorläufergruppierungen das beste Beispiel für mangelhafte Endverbleibskontrolle und fehlende Rückholmöglichkeiten. Über Jahre waren sie von NATO-Partnerstaaten wie der Türkei sowie strategischen Verbündeten wie Katar und Saudi-Arabien finanziell wie materiell hochgerüstet worden. Dies geschah auch mit deutschen Rüstungsgütern, da jene Länder bevorzugte Kundinnen deutscher und anderer westlicher Rüstungskonzerne sind. Nachdem der IS nun auf der falschen Seite steht, befinden sich auch die westlichen Waffen auf der falschen Seite.

Wer garantiert uns nun, dass die Peschmerga immer auf der Seite der "Guten" stehen werden?

Deutschland trägt Mitschuld an der heutigen Situation im Irak
Deutschland ist seit Jahrzehnten direkt wie indirekt in die irakische Politik und das Geschehen im Land involviert. Im Ersten Golfkrieg (1980 - 1988) beispielsweise belieferte die Regierung Kohl den irakischen Diktator Saddam Hussein mit Waffen, dann unterstützte sie ab 1991 die verheerende Embargopolitik gegen das Land und schließlich half die Regierung Schröder vor dem Dritten Golfkrieg (2003) den Vereinigten Staaten und ihrer "Koalition der Willigen" unter anderem mit weitreichenden nachrichtendienstlichen Erkenntnissen sowie der Gewährung von Überflugrechten bei ihrem Angriffskrieg. In den letzten Jahren lieferten die Regierungen Merkel I und II schließlich Waffen und Rüstungsgüter an die irakische Regierung al-Malikis. Durch die finanzielle, wie militärische und politische Unterstützung seiner verheerenden Regierungspolitik sowie die Unterstützung der Golfstaaten, welche terroristische und ultrareligiöse Gruppierungen im Maschrek seit Jahren mit Waffen und Geld versorgen, trägt Deutschland entscheidenden Anteil an der heutigen Situation im Irak.

Zur Abwendung der vom Westen selbstverschuldeten, aber dennoch konkreten Gefahr für viele Menschen durch IS verlangen wir als Sofortmaßnahmen:
Keine Entscheidungen auf nationaler Ebene, sondern nur unter Einbeziehung der Vereinten Nationen!
Zur Etablierung eines echten internationalen Menschenrechtsregimes, das seinen Namen verdient, anstatt einer Schutzverantwortung à la carte,  sind gerade die westlichen Demokratien gefragt die bestehenden  Institutionen der internationalen Gemeinschaft, allen voran die der Vereinten Nationen (Stichwort: Sicherheitsrat) anzurufen. Die zum Irak maßgeblichen Resolutionen der letzten Jahre benennen die Probleme und Handlungsoptionen richtig, es  mangelte nur an der Durchsetzung, da es keinen politischen Willen für starke VN gab.7
IS-Nachschubwege schließen und Finanzierung der IS durch Ölverkäufe unterbinden!
Der NATO-Partner Türkei toleriert wichtige Nachschubwege an Material für die IS über sein Territorium und erlaubt islamistischen Kämpfer*innen die Passage von Europa nach Syrien und in den Irak. Durch Einwirken auf die türkische Führung muss dies umgehend unterbunden werden. Zudem muss durch internationale Embargos sichergestellt werden, dass weder IS selbst, noch seine Förderer*innen in der arabischen Welt von Ölverkäufen aus dem Irak oder Syrien profitieren.

"Keine Waffen in Spannungsgebiete" muss endlich dazu führen, dass auch in der Tat keine Waffen in Spannungsgebiete geliefert werden! Wir verlangen daher im Weiteren:
Keine Waffen und Soldat*innen in den Irak und andere Spannungs- und Kriegsgebiete!
Das bestehende Waffenembargo für den Irak muss umgesetzt werden, statt unter "besondere[n] außen- oder sicherheitspolitische[n] Interessen der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung der Bündnisinteressen"8 aufgeweicht zu werden. Die Politischen Grundsätze müssen Grundsätze bleiben, sonst sind sie wertlos. Den aktuellen Beteuerungen Soldat*innen würden nicht zu Waffenschulungen in den Irak gehen, schenken wir keinen Glauben und lehnen diesen zu erwartenden Auslandseinsatz der Bundeswehr ohne Bundestagsmandat ab.
Staatlichkeit stärken statt einzelne Interessensgruppen fördern!
Jahrelang haben verschiedene Bundesregierungen die Regierung des schiitischen Ministerpräsidenten Nouri al-Maliki unterstützt, was maßgeblich zur Stabilitätserosion im Irak beigetragen hat. Die neue Bundesregierung muss sich nun dafür einsetzen, dass alle politischen, ethnischen und religiösen Kräfte des Irak angemessen an der Förderung des Gemeinwohls und Schaffung einer tragfähigen Friedensordnung beteiligt werden, um das Blutvergießen dauerhaft zu unterbinden. Lokale multiethnische Selbstverwaltungen, wie sie in den kurdisch kontrollierten Gebieten Syriens trotz Bürgerkrieg aufgebaut wurden, können hier als Gegenbeispiel zu einem Zentralstaat in kolonialen Grenzen dienen.

Ob des Beschlusses der Regierung Merkel III im Nordirak agierende kurdische Kämpfer*innen mit Waffen aus Bundeswehrbeständen zu beliefern fordern wir ferner:
Umfassende humanitäre Hilfe!
Waffen zählen zu den Gütern, die im Irak wahrlich ubiquitär sind. Seit Jahrzehnten erleben seine Bewohner*innen eine Gewaltspirale nach der anderen. Statt Kriegsmaterialien sollten diejenigen Güter geliefert werden, die auch die vor Ort Agierenden am dringendsten erwarten, beispielsweise Sachgüter, wie Zelte, medizinisches Versorgungsmaterial, etc.9 Der Beschluss der Großen Koalition vom 31.08.2014 weist hier ein grobes Missverhältnis von 50 Millionen Euro humanitärer Hilfe zu 70-80 Millionen Euro "Hilfe" in Waffen auf.
Verantwortung für Flüchtlinge im Maschrek und anderen Krisengebieten übernehmen!
Wer echte Solidarität und Verantwortungsbereitschaft vorleben möchte, muss heute den von Bürgerkrieg und Verfolgung bedrohten Menschen dieser Welt ernsthafte Hilfe anbieten und nicht bloß Sonntagsreden halten. Anstatt das Menschenrecht auf  Asyl hierzulande immer weiter auszuhöhlen, muss Deutschland endlich einen größeren Beitrag in der Akuthilfe übernehmen.
Vernichtung der gelieferten Waffen und Demilitarisierung des Maschreks nach Stabilisierung der Lage!
Das Problem der fehlenden Endverbleibskontrolle und starken Mobilität der zur Proliferation auserwählten Waffen wurde erkannt (vgl. Steinmeier, Kauder, etc.). Nun gehört zu einer weisen Entscheidung aber  auch auf die anschließende Vernichtung der Waffen und damit zur langfristigen Stabilisierung der Region beizutragen. Dieser Prozess muss angestoßen und begleitet werden, weswegen wir auf eine aktive Rolle der deutschen Sozialdemokratie und der Regierung Merkel III drängen. Als ersten Schritt schlagen wir die Vernichtung sämtlicher schwerer Rüstungsgüter vor, die in das Krisengebiet geschafft wurden, da ihr Endverbleib - wie die Entwicklungen gezeigt haben - keineswegs gesichert werden kann.
Dialog über die Stärkung der zivilgesellschaftlichen Rolle der Kurdischen Arbeiterpartei
Wir fordern die Bundesregierung auf, die guten Kontakte zur türkischen Regierung zu nutzen, um die Verhandlungen mit der PKK zu intensivieren. Es braucht eine ernsthafte Auseinandersetzung über den zukünftigen Status der verschiedenen Regionen Kurdistans und die Einbindung kurdischer Gruppen in den zivilgesellschaftlichen Aufbau und die lokale Selbstorganisation. Der Status der PKK als auf den Terrorlisten der EU, der USA, des Iraks, der Türkei und weiteren Ländern gelisteten Organisation muss ebenfalls kritisch diskutiert werden.

Begründung:
erfolgt mündlich

Homepage SPD Heidelberg

Jetzt Mitglied werden

Jetzt Mitglied werden

zu meineSPD.net